Was macht Österreich besser? Ergebnisse einer Befragung von medizinischen Sachverständigen in Österreich und Vergleich mit einer Befragung medizinischer Sachverständiger in Deutschland

Kassab V, Gresser U (2015)
Der Sachverständige 11/2015 vom 04.11.2015; 42: 268-276

Fazit der Studie:
Die Befragungen von medizinischen Gutachtern in Deutschland sowie Österreich zeigen, dass d
ie Wahrscheinlichkeit, über einen Gutachter im Gerichtsverfahren zu einer sachlichen und unabhängigen Faktenbewertung zu kommen, weit geringer als wünschenswert ist. In Österreich sind die Chancen für Patienten, einen Gutachter zu finden, besser als in Deutschland.
Wer selbst den Ausgang von Streitigkeiten mitbestimmen möchte, sollte - insbesondere im Bereich Familie, Trennung, Kinder - versuchen, selbst eine Lösung zu erarbeiten, z.B. durch eine Mediation.

2013 haben Jordan und Gresser in Deutschland eine Umfrage zur Begutachtungsmedizin durchgeführt und 548 medizinische und psychologische Gutachter befragt (DS 2014, 41: 71-83). Von den Mitwirkenden an der Befragung wurden Vorschläge für eine Verbesserung des Gutachterwesens gemacht , die in Österreich teilweise Gesetz sind. Die vorliegende Studie sollte klären, ob eine analoge Befragung von medizinischen Gutachtern in Österreich (n=924) andere Ergebnisse ergibt als in Deutschland.
Ergebnis: Das Gutachterwesen in Österreich ist patientenfreundlicher als das Gutachterwesen in Deutschland. Die Chancen, einen Gutachter zu bekommen, sind in Österreich durch die öffentlichen Datenbanken deutlich besser als in Deutschland. Die Bearbeitungszeit der Gutachten ist in Österreich kürzer.Die unterschiedlichen Regelungen für das Begutachtungswesen zwischen Österreich und Deutschland führen dazu, dass die Gutachter in Österreich zu einem späteren Zeitpunkt ihrer beruflichen Laufbahn und mit mehr Berufserfahrung als Gutachter tätig werden als in Deutschland. Die Einflussnahme von Gerichten auf Gutachter ist in Österreich nach Angabe der mitwirkenden Gutachter geringer als in Deutschland, aber deutlich häufiger, als nur gelegentlich. Gutachter, die über erhaltene Tendenzsignale durch auftragserteilende Gerichte berichten, erwirtschaften häufiger über die Hälfte Ihrer Einnahmen aus Gutachtertätigkeit als Gutachter, die keine Tendenzsignale erhalten haben. Besonders deutlich ist dies in der Gruppe der Psychiater.
Die Vergütung der Gutachtertätigkeit wird in Österreich stärker bemängelt, als in Deutschland.
Die Untergruppe der Psychiater weicht erheblich von den anderen ärztlichen Gutachtern ab, in Österreich noch deutlicher als in Deutschland. Psychiater machen am meisten Gutachten, arbeiten am wenigsten im Auftrag von Privatpersonen oder Anwälten, haben häufiger eine wirtschaftliche Abhängigkeit von Gutachten, erhalten am häufigsten bei Gutachten vom auftragserteilenden Gericht Tendenzsignale und ihren Gutachten wird – wenn sie vom Ergebnis erfahren - zu 100% gefolgt.

Die Befragung zeigt, dass der Gutachter der zentrale Faktor für den Verfahrensausgang ist.

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